Gewinnt die Autokratie? Warum es noch Hoffnung für Belarus gibt

Seit mehr als drei Jahren unterdrückt die autoritäre belarusische Regierung die Opposition und verfolgt jeden, der sich gegen die gefälschten Wahlen 2020, die Menschenrechtsverletzungen und den Krieg in der Ukraine ausspricht. Die Stimmen der Belarus*innen, die nach Freiheit und Gerechtigkeit streben, wurden von den turbulenten Ereignissen weltweit übertönt, und ihre Notlage wird auf der internationalen Bühne immer weniger thematisiert. Doch Tausende kämpfen weiter für Demokratie und Freiheit von der Diktatur.

Wie können die Widerstandskraft und die Entschlossenheit der Belarus*innen die Zukunft des Landes beeinflussen? Was ist wichtig, um die Situation im Land und darüber hinaus zu verstehen? In einem gemeinsamen Projekt gehen Voice of Belarus, das Menschenrechtszentrum „Viasna“ und Malanka Media diesen Fragen aus einer zutiefst menschlichen Perspektive nach.

Im Laufe der Geschichte mussten die Belarus*innen zahlreiche Hindernisse in ihrem Streben nach Freiheit und Unabhängigkeit überwinden. Das Gebiet des heutigen Belarus war jahrhundertelang unter fremder Herrschaft und Besatzung. Im 20. Jahrhundert erlebte Belarus große politische Umwälzungen und litt stark unter totalitären Regimen und den verheerenden Auswirkungen der beiden Weltkriege. Die sowjetische Herrschaft, insbesondere die Stalin-Ära, war durch politische Säuberungen und die Unterdrückung der nationalen Identität gekennzeichnet.

Die Narben sitzen tief und das Erbe dieser Zeit prägt das Land bis zum heutigen Tag. Nach dem Untergang der Sowjetunion und der Entstehung eines unabhängigen Belarus geriet die Nation, die ihre Vergangenheit noch nicht bewältigt hatte, in den Bann eines populistischen Führers. Alexander Lukaschenko, der 1994 an die Macht kam, offenbarte schnell seine autoritären Neigungen, indem er politisch Andersdenkende unterdrückte, die Meinungs- und Versammlungsfreiheit einschränkte und Wahlen manipulierte, um seine Machtstellung zu festigen.

Bei alledem sollte man nicht vergessen, dass sich Belarusen trotz dieser immensen Herausforderungen als bemerkenswert widerstandsfähig erwiesen und es geschafft haben, ihre Sprache und Kultur in das 21. Jahrhundert zu tragen. In den letzten Jahrzehnten gab es in Belarus zahlreiche Basisbewegungen und Initiativen, die sich für einen demokratischen Wandel einsetzten und Lukaschenkos autoritäre Herrschaft in Frage stellten. Jeder Versuch wurde jedoch gewaltsam niedergeschlagen, was die Hoffnungen zunichte machte und eine Atmosphäre der Angst schuf.

Die Präsidentschaftswahl von 2020 markierte einen Wendepunkt in der Geschichte des Landes, als der überraschende Aufstieg von Swetlana Tichanowskaja als Kandidatin der demokratischen Kräfte der prodemokratischen Bewegung neues Leben einhauchte. Tichanowskaja trat an, um Lukaschenkos langjährige Herrschaft herauszufordern, und kandidierte anstelle ihres inhaftierten Ehemanns. Sie wurde zu einer einenden Figur für verschiedene Oppositionsgruppen. Im Mittelpunkt ihres Wahlkampfes standen demokratische Prinzipien, Menschenrechte und die Notwendigkeit fairer und transparenter Wahlen.

Trotz der massiven Behinderungen durch das Regime entwickelte Tichanowskajas Wahlkampagne eine starke Zugkraft und gewann Unterstützung in der belarusischen Bevölkerung, die in ihr ein Symbol des Wandels und eine Hoffnungsträgerin sah. Ihre Kundgebungen zogen große Menschenmengen an und ihre Botschaft von Einheit und Freiheit fand bei vielen Anklang. Als Lukaschenko dann absurderweise den Stimmenanteil von 80,1 Prozent für sich beanspruchte und sich zum Wahlsieger erklären ließ, brachen in ganz Belarus massive Proteste aus. Diesmal entwickelte die Opposition eine ausgeklügelte Strategie, um den Wahlbetrug aufzudecken: Die Online-Plattform Golos verarbeitete Protokolle der Stimmenauszählung aus 1.310 Wahllokalen und sammelte mehr als eine Million Wahlzettel. Die Beweise zeigten sowohl den Belarus*innen als auch der ganzen Welt deutlich, dass Swetlana Tichanowskaja 56 % der Stimmen erreicht hatte.

Belarus*innen spürten endlich die gegenseitige Solidarität und erkannten die Chance, sich eine bessere Zukunft aufzubauen. Die friedliche Protestbewegung gewann auch erhebliche internationale Unterstützung, da sich viele Länder weltweit weigern, Lukaschenko als legitimen Präsidenten anzuerkennen. Zusätzlich zu den Straßenprotesten hat die prodemokratische Bewegung soziale Medien und Online-Plattformen genutzt, um ihre Botschaft zu verbreiten und Menschen zu mobilisieren.

Aber die Autokraten auf der ganzen Welt haben voneinander gelernt und wenden gut einstudierte Taktiken an. Tatsächlich unterstützen die Mitglieder des sogenannten „Clubs der Diktatoren“ einander in erheblichem Maße. Der Fall Belarus zeigt anschaulich, wie diese „Zusammenarbeit“ funktioniert. Der Kreml beschloss, Lukaschenko zu unterstützen, als klar wurde, dass sein Regime wankte und die Massenproteste nur schwer beherrschte.

Unter dem unerbittlichen Druck der beiden Regime kam es zu spürbaren Veränderungen. Monate unmenschlicher Brutalität, entfesselt durch die „Sicherheitskräfte“, forderten einen verheerenden Tribut von den friedlichen Demonstrierenden. Bis November 2020 verloren die Proteste allmählich einen Teil ihrer anfänglichen Dynamik, was zu einer faszinierenden Entwicklung in der Dynamik der Bewegung führte. Anstelle von groß angelegten Demonstrationen entstand ein Geflecht aus kleinen, stadtteilbasierten Protestkundgebungen und improvisierten Flashmobs, insbesondere in verschiedenen Teilen von Minsk. Die rücksichtslose Verfolgung hielt jedoch an und trieb diese Protestaktionen immer weiter in den Untergrund.

Doch noch ein weiteres Mal hallte ein lautstarker Chor des Widerspruchs durch Belarus. Am 27. Februar 2022 gingen die Menschen auf die Straße, um gegen den Krieg in der Ukraine zu protestieren. Wieder stieß der Protest auf eine harte Reaktion: An diesem Tag wurden über 800 Menschen wegen der Teilnahme an Antikriegsdemonstrationen brutal verhaftet. Es war Lukaschenkos Komplizenschaft, die eine enorme Ausweitung der russischen Militärpräsenz im Land ermöglicht hatte. Diese Komplizenschaft ermöglichte auch den Angriff auf die Ukraine durch russische Truppen über die südliche Grenze von Belarus. Wäre die friedliche Revolution in Belarus erfolgreich gewesen, hätte dieser verheerende Krieg vielleicht nie begonnen. Bis heute wird in Belarus unvermindert hart durchgegriffen. Die Anhänger des Regimes scheuen keine Mühen in ihrem Versuch, sich an die Macht zu klammern. Entlassungen, Herausnahmen von Kindern aus den Familien, Schläge, Verhaftungen und Folter werden routinemäßig als Instrumente der Unterdrückung eingesetzt.

Quelle: unsplash.com

Dem Menschenrechtszentrum „Viasna“ zufolge wurden über 46.700 Menschen in den vergangenen drei Jahren Opfer von Repressionen. Bis zum 17. Oktober 2023 wurden mehr als 3.550 Menschen in politisch motivierten Strafsachen verurteilt und mindestens 1.487 politische Gefangene sind unter erschreckenden Bedingungen inhaftiert.

Die Dunkelziffer der nicht gemeldeten Fälle ist sehr hoch, da NGOs nicht immer über Repressionen und Verfolgung informiert werden. Die Menschenrechtsaktivistin und ehemalige politische Gefangene Volha Harbunova betonte auf einer OSZE-Konferenz:

Die derzeit bekannte Zahl der politischen Gefangenen stellt nur einen Bruchteil derer dar, die vom Regime aus politischen Gründen in ihrer Freiheit eingeschränkt wurden. Viele Opfer des Regimes fürchten den Status, während internationale Kriterien oft nicht flexibel genug sind und nicht alle Nuancen des belarusischen Kontextes berücksichtigen.

Einen Telegram-Kanal zu abonnieren, die Meinung in sozialen Medien zu äußern, eine weiß-rot-weiße Flagge im Haus zu haben oder einfach nur rot-weiße Kleidung zu tragen, kann zu Monaten oder Jahren Haft führen. Kürzlich wurde die Musikerin Kazjaryna Schapawalawa dafür verhaftet, im Jahr 2020 die belarusische religiöse Hymne „Mahutny Bosha“ auf den Stufen der Minsker Philharmonie gesungen zu haben.

Arzjom Wajzjachowitsch ist mit 15 Jahren der jüngste politische Gefangene in Belarus. Seine Verurteilung zu drei Jahren Haft war ein Racheakt an seinem Bruder, der einen Telegram-Kanal der belarusischen Eisenbahner moderiert, der als „extremistisch“ eingestuft wurde. Die älteste politische Gefangene, die 75-jährige Natallia Taran, wurde wegen „Verleumdung“ und Beleidigung Lukaschenkos zu 3,5 Jahren Haft verurteilt.

Belarus*innen werden für jegliche Bekundung der Unterstützung für die Ukraine verhaftet. Mindestens 1.630 Menschen wurden in Belarus im ersten Jahr des umfassenden Kriegs verhaftet, weil sie an Anti-Kriegs-Kundgebungen teilnahmen, Eisenbahnstrecken sabotierten oder im Internet Kommentare gegen den Krieg verfassten. 56 Personen davon wurden zu Haftstrafen bis zu 23 Jahren verurteilt. Dutzende von Strafverfahren wurden wegen Foto- und Videoaufnahmen von russischer Militärausrüstung und Weitergabe von Informationen über deren Bewegung in Belarus eingeleitet.

Belarusische Haftanstalten sind berüchtigt für entsetzliche hygienische Bedingungen und die Überbelegung. Doch das Leiden politischer Gefangener geht weit darüber hinaus. Mit dem Ziel, sie zu unterdrücken und zu unterwerfen, werden diese Menschen unterschiedlichen repressiven Taktiken ausgesetzt, einschließlich Demütigungen, Misshandlungen, Schlafentzug und Schlägen. Politische Gefangene werden in eiskalten, überfüllten und unhygienischen Gefängnisräumen inhaftiert. Ihr Kontakt zur Außenwelt ist stark eingeschränkt, viele verbringen Wochen oder gar Monate in Einzelhaft und müssen in einer längeren Isolation ausharren. Sie haben nahezu keinen Kontakt zur Außenwelt, viele siechen Wochen oder gar Monate in Einzelhaft dahin. Die Familien der politischen Gefangenen Maria Kolesnikowa, Viktar Babaryka, Ihar Losik und vieler anderer werden über Monate hinweg in Unkenntnis gelassen, ohne Informationen über den Zustand ihrer Angehörigen.

Unter den schrecklichen Bedingungen des belarusischen Strafvollzugssystems sind sogar die Überlebenschancen ungewiss und prekär. Die Aktivisten Witold Aschurak und Mikalaj Klimowitsch sowie der bekannte Künstler Ales Pushkin starben auf tragische Weise in belarusischen Haftanstalten. Aschurak erlag den tödlichen Schlägen der Wächter, Klimowitsch und Pushkin wurde der Zugang zu grundlegender medizinischer Versorgung verwehrt, bis es zu spät für die Rettung war.

Das anhaltende Vorgehen des Regimes gegen die Rede-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit hat die belarusische Zivilgesellschaft fast vernichtet. Die Staatsorgane greifen weiterhin die friedlichen Demonstrant*innen von 2020 an und rechtfertigen Durchsuchungen und Inhaftierungen mit absurden Vorwänden. Die anschließenden Gerichtsverfahren werden nicht ordnungsgemäß durchgeführt und den Angeklagten wird eine angemessene rechtliche Vertretung verweigert. In diesem rechtlichen Vakuum sind die Urteile vorherbestimmt und lassen so gut wie keine Hoffnung auf Gerechtigkeit.

„Manche werden ins Gefängnis gesteckt, andere ins Ausland getrieben, der Rest wird eingeschüchtert, so bekommen wir eine „destillierte“, gehorsame Gesellschaft, die nach Lust und Laune endlos manipuliert werden kann. Dies ist ein klassisches Schema, dem fast jeder Diktator folgt, wenn er seine Macht durch Proteste des empörten Volkes bedroht sieht. Darin unterscheidet sich Lukaschenko nicht von seinen zahlreichen Vorgängern“, schreibt Viktar Bardsewitsch für Radio Svaboda.

Trotz der orwellschen Realität, die sie umgibt, finden die Belarus*innen raffinierte Wege, ihren Dissens zum Ausdruck zu bringen. Viasna-Mitglied Natallja Sazunkewitsch berichtet:

Friedliche Versammlungen finden in Belarus weiterhin statt. Wir haben 2022 wenigstens 375 Zusammenkünfte dokumentiert. Es ist offensichtlich, dass die weitreichenden Repressionen die Anzahl der Versammlungen reduziert und ihren Charakter stark verändert haben. Im Jahr 2022 wurden Foto- oder Video-Flashmobs zur häufigsten Form des zivilen Ungehorsams und ersetzten die großen Märsche und Demonstrationen, die wir früher sahen. Eine Gruppe von Menschen versammelt sich für wenige Minuten, bringt Fahnen, Poster oder andere visuelle Mittel mit, um ihre Botschaft zu vermitteln. Sie kommen schnell zusammen, nehmen ihre Botschaft auf und zerstreuen sich wieder.

Laut Barys Harezki vom Belarusischen Journalistenverband suchen die Menschen, die in Belarus leben, weiterhin nach Informationen aus unabhängigen Quellen, verfolgen die Nachrichten in unabhängigen Exil-Medien und besprechen nur selten die Geschichten, die die Propaganda verbreitet.

Das Institut „Political Sphere“ schätzt, dass mindestens 180.000 Menschen innerhalb der letzten drei Jahre Belarus verlassen haben. Schätzungen des Europarats zufolge waren zwischen 200.000 und 500.000 Belarus*innen gezwungen, in diesem Zeitraum ihr Land zu verlassen. Die meisten von ihnen flohen vor politischer Verfolgung durch das Lukaschenko-Regime. Es ist, als sei eine ganze belarusische Großstadt, Hrodna, Brest oder Homel, von der Erdoberfläche verschwunden.

Selbst im Exil pflegen viele Belarus*innen Beziehungen zu ihrem Heimatland und arbeiten unermüdlich daran, das Bewusstsein für die Menschenrechtsverletzungen in Belarus zu schärfen. Sie setzen sich weiterhin für Veränderungen ein und unterstützen diejenigen, die noch unter dem Unterdrückungsregime leben. Eine Studie des Center for New Ideas ergab, dass typische Vertreter*innen der belarusischen Diaspora unter 40 Jahre alt sind, einen guten Bildungshintergrund und ein überdurchschnittliches Einkommen haben. Die Studie stellt auch fest, dass sowohl die Diaspora als auch die Belarus*innen im Land verstehen, dass Druck auf das Regime und das Herbeiführen von Veränderungen nur durch gemeinsame Anstrengung gelingen können. Die wichtigsten Formen der Unterstützung für Belarus, auf die sich Exil-Belarus*innen konzentrieren wollen, seien der Einsatz ihres Wissens, ihrer Fähigkeiten und Fertigkeiten in Projekten, die Belarus zugute kommen, das Crowdfunding für die belarusische Zivilgesellschaft und finanzielle Förderung von Bildungs- und Kulturvorhaben im Land.

Während der belarussischen Proteste trat Swetlana Tichanowskaja als eine prominente Figur auf und ist seitdem zur Exil-Oppositionsführerin geworden, die sich Gehör verschaffen kann. In diesen drei Jahren hat sie überzeugende und aufschlussreiche Berichte über die Notlage von Belarus auf internationaler Bühne vorgestellt. Durch ihre Lobbyarbeit rückte Tichanowskaja die Notlage von politischen Gefangenen und Exilierten ins Licht und arbeitete unermüdlich daran, Unterstützung für ihre Sache zu gewinnen. Eine ihrer Kernbotschaften ist die grundsätzliche Unterscheidung zwischen dem belarussischen Volk und Lukaschenkos autokratischem Herrschaftssystem. Tichanowskaja liefert Beweise dafür, dass die Handlungen des Regimes nicht den Willen oder die Bestrebungen der Mehrheit widerspiegeln. Es ist unerlässlich, ein klares Verständnis innerhalb der internationalen Gemeinschaft zu fördern: Der Kampf für den Wandel in Belarus ist kein Kampf gegen das Volk, sondern gegen ein grausames und korruptes System der persönlichen Herrschaft.

In seinem jüngsten Versuch, Druck auf Belarus*innen im Ausland auszuüben, verabschiedete Lukaschenko einen Erlass, der es ihnen verbietet, neue Pässe und andere offizielle Dokumente in Botschaften und Konsulaten zu erhalten. Damit stehen Tausende von Menschen, deren Pässe bald ablaufen, vor einem rechtlichen Dilemma. Aber Swetlana Tichanowskaja und die belarusischen demokratischen Kräfte arbeiten an einer innovativen Lösung für dieses Problem, die der „Pass des Neuen Belarus“ heißt. Dieser könnte als Bestätigung der Staatsbürgerschaft dienen und als Reisedokument verwendet werden. Walery Kawaleuski, der außenpolitische Vertreter des Vereinigten Übergangskabinetts von Belarus, sagte, dass mindestens 62.000 Belarus*innen „dringend einen neuen Pass benötigen“. Er fügte hinzu, dass Dutzende von Ländern Interesse an dem Konzept bekundet hätten, aber vorerst nicht öffentlich genannt werden wollen. Die dringlich erwartete Einführung dieser Pässe könnte Anfang 2024 beginnen.

Zahlreiche Veranstaltungen auf der ganzen Welt zeigen das Engagement der Belarus*innen im Ausland für den Erhalt und die Verbreitung ihrer kulturellen Identität. Belarusische Aktivist*innen aus ganz Europa und Nordamerika, aber auch aus Brasilien und Japan, haben eine Vielzahl beeindruckender Kultur- und Bildungsprojekte initiiert, von Kunstaustellungen über Musikfestivals bis hin zu Sprachkursen und Leadership-Seminaren. Im September 2023 fand in Warschau der erste Kongress der belarusischen Kultur im Exil statt, der Hunderte von Autor*innen, Künstler*innen und Musiker*innen zusammenbrachte. In München präsentierte das Festival der unabhängigen belarusischen Kultur Minsk x Minga die Vielfalt der belarusischen modernen Kultur, indem renommierte belarusische Künstler*innen ihre Perspektiven auf den Widerstand der belarusischen Gesellschaft gegen Repressionen und politischen Terror boten. Jedes Jahr veranstaltet die Diaspora weltweit zahlreiche Veranstaltungen zum Gedenken an „Die Nacht der erschossenen Dichter“. Am 29. Oktober 1937 erschossen Stalins Henker 108 belarusische Dichter, Schriftsteller, Übersetzer, Kritiker, Staatsvertreter und Wissenschaftler. Die Veranstaltung erinnert an die brutale Unterdrückung und Zensur, mit der die belarusische Kultur im Laufe der Geschichte konfrontiert war. Derzeit befinden sich in Belarus 134 Kulturschaffende aus politischen Gründen in Haft.

Im Sommer 2023 organisierten über 20 belarussische Medien im Exil einen 12-stündigen Online-Solidaritätsmarathon „We Care!“, um Spenden für politische Gefangene und ihre Familien zu sammeln. Prominente Aktivist*innen, Blogger*innen, Politiker*innen, Sportler*innen und Musiker*innen nahmen an der Live-Übertragung teil. Unabhängige Medien beteiligten sich an der Organisation und Durchführung des Marathons. Ein erstaunlicher Betrag von 574.000 Euro wurde durch über 14.000 Spenden von Einzelpersonen und Unternehmen aus 86 Ländern aufgebracht. Die beim Marathon gesammelten Mittel werden nun von vertrauenswürdigen belarusischen NGOs verwendet , um Menschen in Not zu helfen. Dazu gehören die Bereitstellung von Prozesskostenhilfe und Unterstützung für die zu Unrecht Inhaftierten, Umschulungskurse für ehemalige politische Gefangene, Hilfe für ihre Familien, psychologische Betreuung und vieles mehr.

Eine dynamische Zusammenarbeit belarusischer Forschungszentren gab den Anstoß für die Plattform Ideas Bank , auf der zukünftige Reformen und Entwicklungsprojekte diskutiert werden, die als Grundlage für Transformationsinitiativen dienen können. Die Gründer*innen des Projektes treten für Reformen ein, die „den Menschen gehören“, und betonen, dass belarusische Bürger*innen selbst die treibende Kraft hinter der Transformation zum neuen demokratischen Belarus sein sollten. Sie glauben daran, dass durch die aktive Einbeziehung von Belarus*innen in die Gestaltung der Zukunft ihres Landes eine klare und inklusive Vision entstehen kann, die zu einem echten und sinnvollen Wandel führt.

Konfrontiert mit Ungerechtigkeit, Not und Unsicherheit, haben die Belarus*innen bewiesen, dass ihre größte Stärke in ihrer Einheit liegt. Bei der jährlichen Westminster Lecture im britischen Parlament sagte Swetlana Tichanowskaja:

Angesichts all der Härten und Nöte höre ich manchmal, Belarus sei ein verlorener Fall. Aber das ist es nicht. Lassen Sie mich Ihnen versichern: Belarus kann eine Erfolgsgeschichte sein. Warum bin ich so überzeugt davon? Weil ich die belarusischen Menschen kenne. Vor einiger Zeit rief mich eine Rentnerin aus Minsk an. Sie erzählte mir, sie träfe sich regelmäßig mit ihren Freundinnen, um über Politik zu diskutieren und sich gegenseitig zu unterstützen. „Haben Sie keine Angst?“, fragte ich sie. „Wir sind es leid, Angst zu haben“, antwortete sie mir. „Wir sind zu viele. Sie können einfach nicht alle verhaften.“

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