Aljaksandr Milinkewitsch: Was kann den demokratischen Wandel in Belarus näher bringen?

„Wenn eine Nation sich vereint fühlt, ihr Land liebt und weiß, warum sie es liebt, ist diese Nation unbesiegbar“

Die anhaltenden Repressionen in Belarus, die von Russland bedrohte Unabhängigkeit des Landes und die Folgen dieser Entwicklungen für die regionale und globale Sicherheit erfordern Aufmerksamkeit und entschlossenes Handeln. Aber wie ist denn der Machtwechsel in Belarus zu erreichen? Schließlich ist eben die Usurpation der Staatsmacht durch Lukaschenko die Ursache dafür, was im Land geschieht. In wessen Händen liegt nun die Lösung dieses Problems? Was könnten denjenigen tun, die schon am Aufgeben sind? Welche Rolle kann die internationale Gemeinschaft beim erwünschten Wandel spielen? Auf diese Fragen antwortet Aljaksandr Milinkewitsch, belarusischer Politiker und Präsidentschaftskandidat im Jahr 2006, in der Sendung von Malanka Media „Top Kommentar“.

Der Kampf für ein demokratisches Belarus endete nicht mit dem Ende der Proteste

„Ich weiß es wirklich zu schätzen, was im Jahr 2020 passiert ist. Ich nenne es, wie viele andere auch, eine Revolution.“ Auf die Frage, warum diese Revolution doch nicht gesiegt hat, antwortet Milinkewitsch, dass Revolutionen zwar nicht immer siegen, aber die Generation, die sich 2020 formiert hat, jetzt das Schicksal von Belarus bestimme. „Wir haben erkannt, dass wir viele sind, erkannt, dass wir stark sind, solidarisch, kultiviert, dass wir schließlich Europäer sind und für unsere Würde einstehen können“, sagt er stolz.

Zeit, den Mut sinken zu lassen?

Diejenigen, die aufgegeben haben, haben das Recht darauf, so Milinkewitsch. Sie hätten ja nicht erwarten können, dass ihnen eine solche „Bestie, solch ein absolutes Übel“ gegenüber stünde. Aber der Prozess sei im Gange und nichts sei vorbei, auch wenn heute niemand auf der Straße protestiert. Zurzeit ist offener Protest gefährlich, man riskiert dabei seine Gesundheit und sogar sein Leben.

Heute könne man aber anders vorgehen. Es sei wichtig, kleine Schritte nach vorne zu machen. Wenn sich der Mensch einfach nur um seine Familie kümmert, sei dies auch ein Schritt nach vorne — eine gute Familie und gute Traditionen zu bewahren. Mehr Belarusisch in der Kommunikation wäre auch ein Beitrag, obwohl nicht alle sich sofort umstellen würden, das ist ein allmählicher und sensibler Prozess. Wichtig sei, dass auch diejenigen, die nicht mehr ganz auf die belarusische Sprache umsteigen können, jene Menschen respektieren und schätzen, die sich um deren Wiederbelebung bemühen.

Wie sollte die Strategie sein, um die Diktatur zu bekämpfen und zu besiegen?

Milinkewitsch zieht Vergleiche zu den Revolutionen in anderen Ländern und hebt das Beispiel Polens hervor, wo demokratische Kräfte bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion ebenfalls keine spezifische Strategie hatten. „Das Kriegsrecht war verhängt, alle saßen hinter Gittern, ganz viele haben das Land verlassen und es wurde entschieden, dass es vor allem darum geht, seine Leute zu schützen, sie keiner Gefahr auszusetzen, weil man der bewaffneten Staatsmacht nicht widerstehen kann. Dann haben die Polen die gleiche Strategie der kleinen Schritte verfolgt: Bildung, Aufklärung und Information“, argumentiert er. Die Anhänger des Wandels seien in der belarusischen Gesellschaft bereits in der Mehrheit, so der Politiker, und man habe mit dem Internet eine mächtige Waffe. Wichtig sei, sich zu vereinen und unbedingt auf gegenseitige Demütigungen oder Beleidigungen zu verzichten.

Wie kann der Westen Belarus jetzt helfen?

Milinkewitsch glaubt, der Westen spiele für Belarusen eine sehr wichtige Rolle, denn er sei eine zivilisierte Welt und deswegen liege es ihm daran, die Sicherheit in der Region aufrechtzuerhalten. Es sei die Demokratie in Belarus, die eine solche Sicherheit schaffen könne. Der Politiker ist fest überzeugt: Hätten die demokratischen Kräfte nicht die Unterstützung des Westens, würde Belarus das Schicksal Nordkoreas wiederholen. Milinkewitsch fordert, man solle „nicht jammern und klagen, dass wir geschlagen wurden, dass unsere Leute im Gefängnis sitzen, dass wir Gräueltaten und Qualen erleben, sondern erklären: Wir haben es zwar schwer, aber wir glauben an unser zukünftiges europäisches Leben und bitten Sie daran zu glauben, dass Belarus eines der Länder ist, wo die Transformation durchaus gelingen kann.“ Es gebe viele gute Gründe dafür: hoher Bildungsstand, Arbeitslust, die Infrastruktur und die noch erhaltene Industrie und Landwirtschaft. „Belarusen sind im Geiste Europäer, mental sind sie Europäer. Das ist unser Potenzial und wir können bei der Transformation in unserer Region führend werden“, behauptet er.

Was können die Belarusen aus den ukrainischen Erfahrungen für ihre eigene nationale Befreiungsbewegung lernen?

„Die Ukrainer führen einen unglaublichen Kampf für die Befreiung ihres Landes und verteidigen das Recht von uns allen, ihren Nachbarn, in Wohlstand, mit Würde und auf europäische Weise zu leben“, antwortet Milinkewitsch. Alle verstehen, so der Politiker, dass in der Ukraine auch über das Schicksal von Belarus entschieden werde. Er ist vom ukrainischen Sieg fest überzeugt, weil die Ukrainer*innen nicht zu brechen seien. Sie hätten einen Geist bewahrt, den man in keinem anderen Land mehr wieder findet. Für Milinkewitsch ist es der Geist der Nation, der Glaube an sich selbst, die Liebe zum eigenen Land. Wenn eine Nation sich vereint fühle, ihr Land liebe und wisse, warum sie es liebe, sei diese Nation unbesiegbar. Die Belarus*innen, so der Politiker, müssen erst eine solche Nation werden und das wäre die Aufgabe Nr. 1.

„Alles, was jetzt passiert, ist die Wahl zwischen dem absolut Bösen im Kreml und dem absolut Guten in Kiew. Unsere Region stammt aus Europa, wir sind vom Ursprung her Europäer und es soll nicht heißen, dass wir nach Europa gehen, sondern dass wir nach Europa zurückkehren. Weil wir von dort kommen“, schließt Milinkewitsch.

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"