August 2020  — Das Medienprojekt „August2020“ (august2020.info/de) sammelt und veroffentlicht Zeugenaussagen uber Folterungen, Verletzungen und Misshandlungen wahrend der friedlichen Proteste, die nach den Wahlen in Belarus im Jahr 2020 stattfanden.

Folter und Gewalt im Jahr 2020 – die Geschichte von Aljaxej

25 Jahre alt. „Ohne Kampf schaffen wir es nicht, und es wird keine Möglichkeit mehr geben, die Situation friedlich zu lösen“

Der August 2020 war in der Tat ein Monat der Veränderung für Aljaxej. Nach den Wahlen nahm er aktiv an Kundgebungen teil. Dort lernte er auch seine Freundin kennen, mit der er noch immer zusammen ist. Aljaxej wurde mehr als einmal festgenommen, aber verurteilt wurde er nicht, weil er für die Proteste auf die Straße gegangen ist, sondern weil er sich in einem Telegram-Kanal gegen den Leiter der Polizeibehörde einer Kleinstadt ausgesprochen hat. Und das Urteil war hart – zwei Jahre Unterbringung in einer Haftanstalt mit offenem Vollzug.

„Warum hast du diese Bänder angebracht?“

– Ein wichtiger Punkt ist, dass ich ausgerechnet damals, im August, Alina kennenlernte, die jetzt meine Freundin ist. In einer kleinen Stadt in der Nähe von Minsk und in Minsk selbst nahmen wir an Protesten teil und brachten kleine Bänder an, als Symbol für unsere friedliche Bewegung. Ende September wurden wir – meine Freundin, ich und ein weiterer Mann – festgenommen. Der Oberleutnant provozierte mich ständig, bedrängte mich, aber ich hielt durch, weil Alina neben mir war. Sie ließen uns daraufhin gehen, denn sie hatten kein Recht, uns länger als drei Stunden festzuhalten. Aber sie beschlagnahmten meine Aktentasche, in der die Bänder und auch Sprühdosen mit Farbe waren.

Am nächsten Morgen kam ein Polizeibeamter und sagte, sein Chef habe uns zu einem Gespräch vorgeladen. Ich war naiv und dachte, wenn es nur um ein Gespräch geht, dann fahre ich doch kurz hin. Im Auto saß bereits ein weiterer Mann. Mir wurde gesagt, ich solle Alina anrufen, damit sie auch dorthin kommt. Ich log, dass sie auf der Arbeit sei und überhaupt nicht wegkönne. Sie riefen den Chef an, um die Situation zu klären. Er sagte, wenn Alina nicht freiwillig erscheinen würde, würde man uns trotzdem festnehmen. Man holte sie mit dem Polizeiauto ab und zu dritt fuhren wir zur Polizeistation.

Wir waren im vorderen Teil der Kolonne unterwegs, Alina hielt die Nationalflagge und ich die weiß-rot-weiße Flagge. Da hat man uns wohl mit der Kamera aufgenommen

– Ich wurde zuerst zum Chef gebracht und Alina und der andere Typ wurden zu den Ermittlern geführt. Das Gespräch mit dem Chef verlief gut – wir stritten uns nicht. Er stellte in aller Ruhe Fragen: „Warum hast du diese Bänder angebracht?“ Und dann sagte er, er habe ein Video, das angeblich meine Teilnahme an den Kundgebungen beweist. „Also musst du für einen Tag hier bleiben“, sagte er. Und da erinnerte ich mich: Als wir zu den Kundgebungen in Dsjarshynsk reisten, waren wir im vorderen Teil der Kolonne unterwegs, Alina hielt die Nationalflagge und ich die weiß-rot-weiße Flagge. Da hat man uns wohl mit der Kamera aufgenommen.

Auf Aljaxejs Bitte hin wurde Alina freigelassen und durfte nach Hause zum Kind, während er und der andere Mann festgenommen wurden. Zuerst steckte man ihn in einen „Fernseher“, wie die normalen Zellen bei der Polizei genannt werden. Sie durften nicht auf die Toilette gehen. Das irritierte die Jungs natürlich. Sie verbargen ihre Irritation nicht. Die Mitarbeiter beschlossen, dass es sich um gewalttätiges Verhalten handelte, und schickten die Gefangenen in die Untersuchungshaftanstalt, wo sie auf verschiedene Zellen verteilt wurden. – Ich war allein eingesperrt. Das Personal bot mir Matratzen an, aber mir war klar, in welchem Zustand diese waren, und ich lehnte ab. Ich saß direkt auf dem Metall. Saß einfach da und wartete.

Es wurde bereits dunkel. Ich war sehr müde, sodass ich sogar in dieser Situation einschlafen konnte. In der Nacht hörte ich, wie die Tür der Zelle nebenan mehrfach geöffnet wurde und mein Freund herausgeholt und dann wieder hereingebracht wurde. Und um 10 Uhr morgens wurden wir freigelassen. Davor kamen wir zu irgendeinem Ermittler. Er sagte, dass wir Glück hatten, dass man uns bei diesem ersten Mal begnadigt hat. Das Gericht würde mir nicht mehr als 4 Basissätze für die Teilnahme an einer Kundgebung auferlegen und dem anderen Typen nur wegen Rowdytums. Wir stimmten zu, denn wir wollten so schnell wie möglich von dort verschwinden. Wir unterschrieben Papiere, in denen wir uns damit einverstanden erklärten, dass der Gerichtsprozess ohne uns stattfinden würde.

„Es ist unwahrscheinlich, dass sie dich ins Gefängnis stecken können, aber zu Haft mit offenem Vollzug verurteilen – ja“

Nach seiner ersten Verhaftung hörte Aljaxej nicht auf, sich an der Protestbewegung zu beteiligen. Und dann nahm der Leiter der Bezirkspolizeipräsidiums von Dsjarshynsk eine ganze Familie mit Kindern fest. Der Vater wurde für 24 Stunden inhaftiert, die anderen wurden freigelassen. Aljaxej konnte nicht anders, als darauf zu reagieren. Und er äußerte sich über diesen Leiter in einem bekannten lokalen Telegram-Chat.

– Der Hauptauslöser in dieser Äußerung war das Wort ‚Schwuchtel‘. Und an einem Novembertag kamen um 7 Uhr morgens zwei Mitarbeiter der Polizei zu mir (ich wohnte damals noch bei meinen Eltern). Sie fragten meine Mutter, ob auf ihren Namen eine SIM-Karte registriert sei. Ich ging halb verschlafen auf sie zu und sah diesen Zettel mit meinem alten Telegram-Nicknamen darauf. Ich wusste sofort: Das war’s, erwischt.

Ich lief zum Handy. Sie schrien: „Stopp!“, nahmen mir mein Handy weg und zeigten mir den Durchsuchungs- und Haftbefehl.

– Die SIM-Karte ist auf den Namen deiner Mutter registriert, also wenn du willst, können wir sie festnehmen.

– Nein, natürlich mache ich das, das ist mein Telegram-Konto. Ich habe ein iPhone und ich wusste, dass sie es nicht hacken können, außerdem hatte ich alles gelöscht. Also gab ich ihnen das Passwort selbst. Sie schauten es durch, fanden aber nichts Bemerkenswertes. Ich wurde mitgenommen. Ich wusste, dass sie kein Recht haben, mich länger als 72 Stunden festzuhalten. Drei Tage vergingen, Aljaxej wurde freigelassen und aufgefordert, auf den Prozess zu warten.

Wir vermuten, dass es für viele Menschen nützlich wäre, zu wissen, wie man Aljaxej ausfindig machen konnte. Ihm zufolge bekam er von jemandem mit einem vertrauten Spitznamen einen Link und klickte ihn an. Und genau über diesen Link ermittelte man die vollständige IP-Adresse seines Handys. Es lohnt sich, vorsichtig zu sein und auf digitale „Hygiene“ zu achten, um solche Fälle zu vermeiden.

– Ich habe mit vielen Menschen gesprochen, sogar mit ehemaligen Staatsanwälten. Man sagte mir, dass es unwahrscheinlich sei, dass sie mich ins Gefängnis stecken können, aber zu Haft mit offenem Vollzug verurteilen – ja. Zu dieser Zeit war es für mich das Wichtigste, Silvester zu Hause feiern zu können. Ich bin froh, dass es so geklappt hat. Und im Februar sollte der Gerichtsprozess stattfinden, aber die erste Anhörung wurde vom Richter verschoben. Der Grund dafür: als man mich drei Tage lang festgehalten hat, hatte ich eine Verletzung. Beim Arbeiten mit einer Kreissäge hatte ich mir versehentlich den kleinen Finger meiner linken Hand abgeschnitten. Er wurde einfach zugenäht. In der Untersuchungshaftanstalt musste ich jeden Tag den Verband um meinen Finger wechseln, damit er nicht eitern würde. Am ersten Tag wurde ich in die Klinik in Dsjarshynsk gebracht. Und am nächsten Tag, als ich um einen Verband bat, sagte man mir, ich solle auf die Ärztin warten. Als ich zu ihr reinkam, sagte sie:

– Du bist doch nüchtern!

– Was meinen Sie?

– Nun, man hatte mich gerufen, um einen Alkoholiker zu untersuchen. Ich habe nicht einmal Wasserstoffperoxid dabei, nur Brilliantgrün [Antiseptikum].

Irgendwie schaffte sie es, den Verband abzunehmen, aber sie riss buchstäblich ein Stück Fleisch ab. Und danach bearbeitete sie das alles mit Brilliantgrün

Jedenfalls wusste sie nichts über mich und meine Verletzung, sie musste nur eben einen Verband anlegen. Aber dafür hatte sie nichts dabei. Irgendwie schaffte sie es, den Verband abzunehmen, aber sie riss buchstäblich ein Stück Fleisch ab. Und danach bearbeitete sie das alles mit Brilliantgrün. Wie man so schön sagt: Man muss mit dem arbeiten, was man hat. Nachdem ich die Untersuchungshaftanstalt verlassen hatte, begann mein Finger, zu eitern. Gott sei Dank konnten sich dann andere Ärzte die Sache anschauen und wieder in Ordnung bringen.

Bis zur zweiten Gerichtsverhandlung konnte ich eine Menge Papiere sammeln (auch solche, die mit der Verletzung zu tun hatten), die mir hätten in die Hände spielen können. Sie wurden akzeptiert, aber das hatte keinen Einfluss auf die Urteilsverkündung. Ich hatte das Gefühl, dass man sie einfach weggeworfen hat. Für die Beleidigung auf Telegram wurde ich zu einer Geldstrafe von 3.000 Rubel (als Entschädigung für den moralischen Schaden, der diesem Leiter entstanden war) und zwei Jahren Bewährungsstrafe mit Arbeitsauflagen verurteilt. Zunächst verlangte der Leiter der Bezirkspolizeipräsidiums von Dsjarshynsk 4.000 Rubel und wollte, dass ich mich in dem Telegram-Chat entschuldige, in dem ich ihn beleidigt hatte. Ich dachte, na gut, wenn du dich so besänftigen lassen willst, bitte sehr. Man half mir beim Verfassen des Textes. Darin stand, dass so eine angesehene Person wie Tichanowskaja niemals „solche Dinge“ über Mitarbeiter der Polizei sagen würde. Selbst der Richter war von meiner Wortgewandtheit schockiert. Die Höhe des Schadenersatzes wurde reduziert.

Man gab mir auch 10 Tage Zeit, um das Urteil zu überprüfen und in Berufung zu gehen, aber mir war klar, dass es keinen Sinn hatte, etwas zu tun. Die Gesetze in diesem Land funktionieren nicht. Noch vor der Verhandlung erhielt ich außerdem etwa 300 Seiten Material zu meinem Fall. Und das alles nur zu meinem Fall? Für ein Wort auf Telegram? Es war so komisch. Und das Handy wurde als Tatwerkzeug beschlagnahmt.

„Beim ersten Mal wird man nicht bestraft, aber beim zweiten Mal bekommt man mindestens 15 Tage im Gefängnis“

Die Laufzeit der Bewährungsstrafe begann. Aljaxej erzählt, er sei beim Strafvollzugskomitee registriert worden und habe bestimmte Zeiten vorgeschrieben bekommen, in denen er das Haus verlassen durfte. Das waren seine Arbeitszeiten – von 8:30 bis 17:00 Uhr. Auch die benötigte Zeit für den Weg zur Arbeit und zurück nach Hause wurde festgelegt – ca. eine halbe Stunde. Dazu kommen noch zwei Stunden vor und nach der Arbeit, die man nur dafür verwenden kann, um Einkaufen oder in die Apotheke zu gehen. Einfach auf der Straße spazieren gehen ist verboten. Zwischen 19:30 Uhr und 6:00 Uhr morgens darf man das Haus nicht verlassen. Während der Verbüßung der Strafe darf man weder zu seinen Eltern noch in die Wohnungen anderer Menschen (z. B. Freunde), und auch nicht in Bars, Clubs oder sogar Cafés. Über jegliche Familienereignisse muss man im Voraus die Polizeibeamten informieren.

Aljaxej sagt, er fühle, dass man ihn „anders“ behandele. Seine Anfragen, irgendwohin gehen zu dürfen, werden oft abgelehnt, obwohl er Bekannte hat, die die gleiche Strafe verbüßen, aber nicht aus politischen Gründen, und die diese Erlaubnis bekommen. Aljaxej muss sich jeden Freitag und Sonntag bei der Polizei melden. Dort versammeln sich auch die anderen jungen Leute, die seit August 2020 gemäß Artikel 23.34 des Zivilgesetzbuches festgenommen worden sind.

– Als die Haft mit offenem Vollzug begann, kamen die Mitarbeiter der Polizei lange Zeit nicht mit Überprüfungen zu mir nach Hause. Und dann „boom“ – plötzlich waren sie da. Als meine ganze Familie an Corona erkrankte, kamen sie nicht. Vielleicht wollten sie, dass wir uns entspannen. Manchmal kommen sie 2 oder 3 Mal am Tag. Sie kamen sogar um ein Uhr nachts. Zum Thema weitere Verbote: Man darf keine alkoholischen Getränke trinken, nicht einmal alkoholfreie. Sie könnten mich jederzeit anrufen und mich auf die Polizeiwache bestellen, und ich bin verpflichtet, das zu tun.

Alles lief ganz gut, doch dann erhielt Aljaxej die erste Verwarnung wegen eines Verstoßes gegen die Auflagen.

– Ich war selber Schuld. Ich bin für 10 Minuten rausgegangen, um mit meinem Kind Ball zu spielen, und dann kamen die Mitarbeiter der Polizei und bemerkten es. Am nächsten Tag kam ich auf dem Polizeirevier an. Der Leiter sagte, er würde das erste Mal nicht bestrafen, aber beim zweiten Mal würde ich mindestens 15 Tage im Gefängnis bekommen.

„Irgendwann treffen wir uns sowieso mit dir“

Ich verbüßte meine Strafe weiter. Am 29. April kam ich zur Polizeileitung und bat um Erlaubnis, beim Hip-Hop-Wettbewerb meines Kindes dabei sein zu dürfen. Er sagt: „Ok, kein Problem, schreib einen Antrag auf meinen Namen“. Zusammen mit Alina ging ich am 30. April um 19 Uhr zur Geburtstagsfeier meines Bruders, ohne Bescheid gegeben zu haben – mein zweiter Fehler. Ich übergab schnell die Geschenke und rief um 19:25 Uhr ein Taxi. Es war nur eine dreiminütige Fahrt nach Hause, aber das Taxi hatte ein wenig Verspätung und um genau 19:31 Uhr riefen mich die Mitarbeiter der Polizei an und fragten: „Wo sind Sie?“ Ich fuhr vor dem Haus vor. Sie sagten, ich sei 10 Minuten zu spät gewesen und sie würden morgen entscheiden, was sie mit mir machen würden.

Die Entscheidung war eindeutig – 15 Tage Haft. Aljaxej wurde in Untersuchungshaft gebracht. Er konnte beim Wettbewerb seines Kindes nicht dabei sein.

– Ich dachte, Alina würde mir am Montag Zigaretten vorbeibringen, aber alles, was ich bekam, war Kleidung und Waschzeugs. Rauchen war also verboten.

– Aber warum bekomme ich keine Matratze?

– Das ist dir verboten.

– Verboten in Verbindung mit was?

– In Verbindung mit der Tatsache, dass du gegen Artikel 55 verstoßen hast – Verstoß gegen die Auflagen. Noch vor dem Schlafengehen sagte man uns, dass wir jede Stunde geweckt werden würden. Und jeden Tag von 22 Uhr bis 6 Uhr morgens weckten sie mich stündlich. Ich musste mich der Essensklappe nähern, um es zu hören: „Bist du wach? Gut, leg dich wieder schlafen“. Zwischen 6:00 und 22:00 Uhr war es mir verboten, mich auf die Koje zu setzen oder zu legen. Es gab nur eine kleine Sitzbank, wo ich mich hinsetzen durfte, und in Abwesenheit des Leiters konnte ich darauf ein kurzes Nickerchen machen.

Noch vor dem Schlafengehen warnte man uns, dass wir jede Stunde geweckt werden würden. Und jeden Tag von 22 Uhr bis 6 Uhr morgens weckten sie mich stündlich

Es gab auch solche Mitarbeiter, die Dinge sagten wie: „Hey, du Tier, du Bestie!“ Wenn ich es leid war, in der Zelle herumzulaufen, setzte ich mich hin, und dann öffnet der Mitarbeiter die Essensklappe und sagt:

– Hey, Bastard, steh auf! Oder ich trete dir in den Hintern!

– Du kannst mich mal!

– Was? Ich gehe gleich zu meinem Chef!

– Ja, geh doch!

– Ich werde fragen, dass du extra Zeit in Haft bekommst!

– Ja, frag doch! Fühlst du dich dadurch besser? Du kannst es nicht noch schlimmer für mich machen. Eines Tages werden wir uns sowieso nochmal treffen, und sein Leben wird dramatisch schwieriger werden. Er schloss die Essensklappe und ging weg, weil er nicht wusste, was er mir antworten sollte.

Aljaxej schlief die ganzen 15 Tage auf blankem Metall. Gleichzeitig hörte er auf, zu rauchen. Er erzählt uns vom Essen: Es gab keinen Tee, morgens nur Brei ohne Salz. Zum Mittagessen gab es Suppe, Schnitzel und wieder Brei, und abends gab es abwechselnd Kartoffelsalat und Krautsalat. Fast wie eine prophylaktische Diät. Nicht vergessen wurde natürlich Aljaxejs Rückkehr zum richtigen ideologischen Weg.

– Am ersten Tag bekam ich einen kleinen Lautsprecher und man machte Musik an. Die Playlist bestand aus sieben Liedern: Das erste war die Nationalhymne von Belarus und der Rest handelte davon, dass es schlecht sei, zu Kundgebungen zu gehen. Stellen Sie sich vor, es gibt auch solche Lieder. Generell war es in den ersten acht Tagen schwer, weil ich allein in dieser deprimierenden Atmosphäre war. Aber dann steckte man einen Alkoholiker aus dem örtlichen Dorf zu mir. Ich gab ihm etwas Seife und bat ihn, sich zu waschen. Es wurde besser. Und es gab jemanden, mit dem ich sprechen konnte. Das Interessanteste war, dass er zuerst mit einer Decke hereingebracht wurde, aber am Abend wurde auch diese weggenommen. Wir waren also unter den gleichen Bedingungen. Bevor er zu mir verlegt wurde, hatte er bereits acht Tage mit allen „Einrichtungen“ in der Zelle nebenan verbracht, und er wusste selbst nicht, warum er verlegt worden war. Er wurde nachts nicht geweckt. Das Rauchen wurde ihm allerdings auch verboten, aber er nahm es generell gelassen hin. Alles, was ihn interessierte, war die zu Hause versteckte Flasche.

Aljaxej erinnert sich, wie am Tag vor seiner Freilassung ein Mann in den 50ern in seine Zelle verlegt wurde. Er war ein aktiver Unterstützer der Protestbewegung, beteiligte sich aber nicht an irgendwelchen Aktionen. Und dann geschah der folgende Vorfall auf seiner Datscha. Es gab einen erneuten Konflikt zwischen ihm und einem anderen Mann wegen eines Lieferwagens, der den Leuten den Weg zum See versperrte. Generell stritten und bekriegten sich die beiden Männer oft in ihren Gemüsegärten. Und so beschloss einer von ihnen, der die politischen Ansichten seines Gegners kannte, sich auf so eine Art und Weise zu rächen – indem er ihn denunzierte.

– Er sagte, dass man am nächsten Tag zu ihm kam, sein Haus durchsuchte und sein Handy beschlagnahmte, dabei wurde auch eine Nationalflagge gefunden (schade, dass es ihn nicht vor der Haft bewahrt hat). Eine Woche später wurde er aufgefordert, das Handy wieder abzuholen. Aber bevor er das Bezirkspolizeipräsidium erreichen konnte, wurde er von den Verkehrspolizisten angehalten, und ohne seine Papiere zu überprüfen, begannen sie, wegen seinem Kennzeichen Ärger zu machen. Aber auch hier wurde nichts „Kriminelles“ festgestellt. Infolgedessen hat man ihn wegen des „NEXTA“-Kanals auf seinem Handy angeklagt. Er bekam drei Tage Haft. Das Handy wurde beschlagnahmt und erneut als „Tatwerkzeug“ bezeichnet.

„Ich gewöhne mich langsam an die neue Realität“

Aljaxej verließ die Untersuchungshaftanstalt an einem Sonntag und ging direkt zur Polizeiwache, um sich zu melden. Und am Tag darauf, am Montag, müsste er bereits zur Arbeit gehen. Es dauerte noch ein paar Tage, bis er zu Hause normal einschlafen und durchschlafen konnte, und es herrschte ein ständiges Gefühl der Unruhe.

Am 9. Mai versammelte der Leiter der Untersuchungshaftanstalt alle, die wegen Artikel 23.34 des Zivilgesetzbuches dort waren, und begann, einen weiteren Propagandavortrag zu halten. Aber zuerst sagte er, dass es einen Typen gebe, dem er immer half und den er immer gut behandelte. Er sagte, dieser Typ habe Mist gebaut, und der Leiter hätte sich vor seinen Vorgesetzten dafür verantworten müssen. Am Ende wurde der Typ zu 15 Tagen Gefängnis verurteilt. Er bezog sich eindeutig auf Aljaxej. Und das alles sollte als Lehre dienen, dass man keine Telegram-Kanäle lesen oder dort etwas posten sollte.

– Ich gewöhne mich langsam an die neue Realität. Ich würde nicht sagen, dass es total schlimm ist. Alina unterstützt mich sehr. Vielen Dank an sie dafür. Ich weiß, dass es nicht einfach ist mit meinen Bußgeldern und Haftstrafen, aber sie versteht mich. Ich habe kein bisschen bereut, was ich getan habe. Und ich bin sehr froh, dass ich bei diesen Protesten ein so schönes Mädchen kennengelernt habe.

Als man die Einsatzkräfte sah, schrien alle: „Polizei! Rennt weg!“ Und dieser eine Kerl schrie: „Roma ist nicht weggelaufen!“ Ich spürte Gänsehaut am ganzen Körper

Wir fragen Aljaxej, was ihm beim Durchhalten hilft, was ihn inspiriert, wie er die Zukunft sieht und ob er an einen Umzug denkt. Er erzählt uns eine Begebenheit.

– Ich habe einen Moment, der mir im Gedächtnis haften bleibt. Beim Memorial für Raman Bandarenka versammelten sich Leute, und es gab einen Mann, an dessen Satz ich mich wahrscheinlich für immer erinnern werde. Als man die Einsatzkräfte sah, schrien alle: „Polizei! Rennt weg!“ Und dieser eine Kerl schrie: „Roma ist nicht weggelaufen!“ Ich spürte Gänsehaut am ganzen Körper. Die Menge blieb eine Weile stehen. Aber dann sahen alle die enorme Anzahl von Bereitschaftspolizisten, die sich näherten, und rannten wieder davon. Aber dieser Kerl gab nicht auf: Er begann, Mülltonnen zu nehmen und Barrikaden zu errichten. Alle schrien ihn an: „Was machst du da? Tue es weg, lass es sein! Lass uns gehen!“ Aber ich stimmte ihm zu und dachte: „Du bist ein Guter!“ Meine Meinung? Sie ist so – ohne Kampf schaffen wir es nicht, und es wird keine Möglichkeit mehr geben, die Situation friedlich zu lösen.

Ich werde das Land bei der ersten Gelegenheit verlassen. Ich möchte frei sein. Ich möchte weiterkämpfen, aber im Moment gibt es gar keine Bewegung, was sehr frustrierend ist. Wenn es irgendeine Bewegung gäbe, würde ich definitiv in Belarus bleiben.

P.S. Verbüßt Bewährungsstrafe mit Arbeitsauflagen

Author: Projektteam August2020

Illustrationen: Projektteam August2020

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