„Fall Selzer“ zwei Jahre später: Was ist mit den Festgenommenen passiert?

Am 28. September 2021 brachen Sicherheitskräfte in die Wohnung von Andrej Selzer, einem Mitarbeiter der großen IT-Firma EPAM, in Minsk ein, erinnert Malanka Media. Es kam zu einer Schießerei, bei der zwei Menschen getötet wurden: Selzer selbst und ein KGB-Offizier Dsmitry Fedasjuk. Darauf begann eine neue Welle der Repressionen in Belarus: Hunderte von Menschen wurden festgenommen.

Als die Sicherheitskräfte zu Andrej Selzer kamen, weigerte er sich, die Tür zu öffnen, und rief die Polizei an. Als die maskierten Männer die Tür aufsprengten, begann der Programmierer mit einem Jagdgewehr auf sie zu schießen. All dies wurde von Selzers Frau Maryja Uspenskaja gefilmt.

Nach der Schießerei und dem Tod zweier Personen ließ das Lukaschenko-Regime ein Strafverfahren wegen des „Mordes an einem KGB-Angehörigen im Dienst“ eröffnen. Als erste wurde Maryja Uspenskaja festgenommen. Sie wurde der Mittäterschaft am Mord beschuldigt, weil sie das Geschehen gefilmt hatte. Im Juni 2022 wurde sie zu einer Zwangsbehandlung in eine psychiatrische Klinik eingewiesen, Einzelheiten über ihren Aufenthalt dort sind nicht bekannt.

Selzer und Uspenskaja hatten einen Sohn. Zum Zeitpunkt der Ereignisse war er 10 Jahre alt. Jetzt befindet er sich unter der Vormundschaft von Verwandten.

Der schockierende Vorfall erregte enormes Aufsehen, tausende Belarus*innen zeigten sich über das Vorgehen der Sicherheitskräfte empört. Die Sicherheitsbehörden reagierten, indem sie mehr als 100 Personen wegen Reposts, Kommentare und Beiträge mit ihrer Meinung zum „Fall Selzer“ aufspürten und festnahmen.

In Haft wurden sie schlechter als andere Insass*innen behandelt. Laut Berichten des belarusischen Menschenrechtszentrums „Viasna“ lehnten die Angestellten der Haftanstalt Pakete mit Gegenständen und Hygieneartikeln für die Häftlinge ab, so dass einige von ihnen anderthalb Monate lang unter unhygienischen Bedingungen und ohne warme Kleidung dort bleiben mussten. Sie wurden wegen der „Beleidigung der Behörden“ im Internet strafrechtlich verurteilt und 99 Personen wurden in Strafkolonien eingewiesen.

Während des Prozesses berichtete die politische Gefangene Ina Moschtschanka, die Mitarbeiterin der staatlichen Nachrichtenagentur BelTA, von den Haftbedingungen: Im Akreszina-Gefängnis verbrachte sie fünf Tage in einer Doppelzelle, in der 16 Frauen zusammengepfercht waren, und in Schodsina wurde eine „Erziehungsquarantäne“ (ohne Pakete und Korrespondenz) für die Häftlinge angeordnet. Die Menschenrechtler von „Viasna“ appellierten im Interesse der Inhaftierten an die UN-Sonderberichterstatter*innen wegen des grausamen und unmenschlichen Umgangs nach der Festnahme und während der Zeit im Gefängnis.

Einige Gefangene wurden auf die „Liste der an terroristischen Aktivitäten beteiligten Personen“ gesetzt, darunter der Journalist Henads Maschejka, die Buchhalterin Hanna Karnjajenka und der ehemalige Angestellte im Bildungsministerium Sjarhej Nawumtschyk und andere. Die „Schuld“ von Maschejka, dem Mitarbeiter der Zeitung „Komsomolskaja Prawda in Belarus“, bestand lediglich darin, dass er einen Artikel über den Ermordeten Andrej Selzer schrieb und dabei die Aussagen seiner Bekannten zitierte. Nach der Veröffentlichung des Artikels sperrte das belarusische Informationsministerium die Website der Zeitung, anschließend wurde die Zeitung geschlossen und der Journalist festgenommen.

Im Jahr 2023 wurden mehr als 30 Personen, die im Zusammenhang mit diesem berüchtigten Fall verurteilt waren, aus der Haft entlassen. Auch der Aktivist Ilja Mironau aus der Stadt Homel, der wegen seiner Sympathiebekundung für die Familie des getöteten Andrej Selzer inhaftiert wurde, kam dabei frei. Ilja Mironau war nach seiner Freilassung gezwungen, das Land zu verlassen.

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