Ein Oppositioneller berichtet ein Jahr lang an den KGB – ohne es zu wissen

Laut einem Bericht von Malanka Media unterwanderte erneut ein Agent des belarusischen Geheimdienstes die Reihen der belarusischen demokratischen Kräfte im Exil. Überraschend meldete sich der stellvertretende Leiter der KGB-Untersuchungsabteilung Kanstanzin Bytschak bei einem Zoom-Seminar zu Wort.

Am Samstag, den 18. November, fand in Belarusian Youth Hub in Warschau ein Seminar zum Thema Sicherheit statt, das von Aleh Aksjonau, einem Aktivisten der Belarusischen Christdemokraten, organisiert wurde. Im Rahmen des Seminars sollte der „Sponsor“ der Veranstaltung – ein Vertreter des Europäischen Rechnungshofes sprechen, aber an seiner Stelle sprach Kanstanzin Bytschak, der stellvertretender Leiter der belarusischen KGB-Ermittlungssabteilung. Im Namen des KGB dankte er Aleh Aksjonau „für eine lange und fruchtbare Zusammenarbeit“ und forderte die Seminarteilnehmer auf, „vor den zuständigen Behörden zu erscheinen und Buße zu tun“ für ihre Versuche, die belarusische Staatlichkeit zu untermauern.

Am selben Tag prahlten Propagandisten mit einer erfolgreichen KGB-Operation. In der Reportage des Propagandasenders wrde behauptet, Aleh Aksjonau arbeite bereits seit einem Jahr für den KGB im Glauben, dies seien Angestellte des Europäischen Rechnungshofs. Vor einem Jahr beantwortete Aksjonau eine Stellennzeige des Rechnungshofs des Rechnungshofs der Europäischen Union für einen freiberuflichen Prüfer. Seine Aufgabe war es, Informationen über die Arbeit der belarusischen demokratischen Kräfte zu sammeln und zu überprüfen, wie Zuschüsse verwendet werden, sowie Berichte über Veranstaltungen – Foto-, Video- und Audiomaterialien – zu senden. Besonderes Augenmerk sollte auf die Sitzungen hinter verschlossenen Türen gelegt werden. Wie sich herausstellte, erwiesen sich die „Angestellten“ des EU-Rechnungshofs als Mitglieder des belarusischen Geheimdienstes, die auch das Seminar sponserten.

Das Team von Belarusian Youth Hub berichtete, dass Aksjonau, der die Veranstaltung organisiert und initiiert hat, nichts Verdächtiges tat. Aber er hat nichts mit den täglichen Aktivitäten des Hubs zu tun.

„Auf Wunsch von Herrn Aksjonau stellte der Hub eine Halle und technische Ausstattung für die Veranstaltung zur Verfügung, die offen und öffentlich war. Jeder konnte dazu kommen, ohne sich anzumelden und personenbezogene Daten zu übermitteln. Die Ankündigungen wurden auf verschiedenen Plattformen, einschließlich unserer sozialen Netzwerke, veröffentlicht. Die Teilnahme an solchen Veranstaltungen ist sowohl in Polen als auch in Belarus legal. Es wurden keine Teilnehmerlisten geführt, so dass niemand, einschließlich Propagandisten*innen, sie bekommen konnte“, kommentierte der Belarusian Youth Hub.

Aleh Aksjonau sagte in einem Kommentar für „Euroradio“, er berichtete in der Tat an den KGB und glaubte dabei, dass er mit einem Arbeitgeber aus der Europäischen Union kommuniziere.

„Es gibt keine geheimen Listen, wie die KGB-Angestellte zu zeigen versuchen. All diese Informationen sind öffentlich zugänglich. Dies ist ein gewöhnliches Standardblatt mit mehreren Fragen. Die wichtigste Frage ist nach der Anzahl der Teilnehmer sowie der Finanzierung nach Punkten, welche Mittel und wofür sie ausgegeben wurden. Tatsächlich habe ich zu all diesen Punkten geschrieben, dass ich keine Informationen hatte, und ich hatte wirklich keine Informationen darüber und versuchte nicht, an sie zu kommen. Ich habe mich nicht darum bemüht. Was die Anzahl der Teilnehmer betrifft – so und so viele wurden angemeldet, so und so viele wurden bestätigt“, erklärte Aksjonau.

Nach Angaben des Aktivisten wurden insgesamt fünf Berichte erstellt. Aksjonau versichert, dass die Teilnehmerlisten, auf denen alle namentlich aufgeführt sind, nicht existiert hätten. Er weist darauf hin, dass ales Veranstaltungen offen waren und von den Medien aufgegriffen wurden. Aksjonau dementiert die Behauptung der Propaganda, er habe Sprachaufnahmen von Treffen gemacht und nennt dies eine Lüge.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Geheimdienste in die Strukturen demokratischer Kräfte eingedrungen sind

Kürzlich prahlten die Staatsmedien mit einem ähnlichen „Erfolg“ – damals war Wolha Kawalkowa das Ziel des Betrugs. Die Politikerin hatte Kontakt zu einer Person, die sich als Assistentin von Michail Chodorkowski ausgab, jedoch tatsächlich eine Propagandistin war. Diese Geschichte hatte zwar keine schwerwiegende Konsequenzen, doch hat sie wieder einmal zum Nachdenken über Sicherheitsfragen in den Reihen der Opposition geführt.

Der vielleicht schwerwiegendste Sicherheitsfehler ist nach wie vor der Skandal um das „Schwarzbuch Belarus“, in das der verdeckte Agent der Hauptdirektion zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität und Korruption (GUBOPiK) Artur Haiko eingedrungen ist. Er arbeitete dort neun Monate lang, und seinetwegen wurden viele Menschen, die Informationen an das „Schwarzbuch Belarus“ übermittelt hatten, verhaftet. In diesem Kriminalverfahren werden immer noch Menschen festgenommen. Das Menschenrechtszentrum „Viasna“ weiß von mindestens 32 Belarus*innen, die wegen der geleakten Daten verurteilt wurden. Die meisten von ihnen wurden zu sechs Jahren Strafkolonie verurteilt, mehrere wurden geschlagen und gefoltert.

Auch erfahrene Oppositionspolitiker*innen fallen auf die Tricks des Geheimdienstes herein. Der Politiker Jury Sjankowitsch, der Politologe Aljaxandr Fjaduta und der Vorsitzende der Partyja BNF Ryhor Kastussjou wurden eines Putschversuches beschuldigt und kamen ebenfalls ins Gefängnis.

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